Führungsrisiken und deren Versicherbarkeit

Mann mit Stift in der Hand

Wo ein Unternehmen in finanzielle Schieflage gerät, die Jahresrechnung mit einem Verlust abschliesst, eine Expansionsstrategie scheitert, Restrukturierungen fehlschlagen oder etwa Erwartungen des Publikums in Umsatz- oder Gewinnsteigerung enttäuscht werden, stehen der Verwaltungsrat und/oder die Geschäftsleitung in der Pflicht. Schnell sind der bzw. die „Schuldigen“ der Misere ausgemacht, und die Frage nach der persönlichen Verantwortlichkeit ist oftmals auch nicht mehr weit entfernt. Wer führt, geht unbestritten Risiken ein und sollte sich daher rechtzeitig Gedanken darüber machen, wie er sich vor Haftungsrisiken vernünftig schützen kann.

Kreis der verantwortlichen Organpersonen

Art. 754 Abs. 1 OR stellt die Hauptnorm der aktienrechtlichen Verwaltungs- und Geschäftsführungshaftung dar1. Der Organbegriff nach dieser Bestimmung umfasst formelle Organe (Verwaltungsratsmitglieder, welche gültig von der Generalversammlung gewählt worden sind), materielle Organe (Mitglieder der Geschäftsleitung oder Direktoren, welchen aufgrund statutarischer Grundlagen oder basierend auf einem Organisationsreglement Geschäftsführungsaufgaben übertragen sind) sowie letztlich auch faktische Organe (Personen, welche Entscheidungen treffen, welche eigentlich nur von formellen/materiellen Organ getroffen werden dürften, wodurch diese Personen die Willensbildung der Gesellschaft massgebend mitprägen). All diese Gesellschaftsorgane unterliegen grundsätzlich einer unbeschränkten persönlichen Haftung im Fall, dass eigenes schuldhaftes Fehlverhalten nachweisbar zu einem Schaden führt. Diesen Schaden hat die Organperson mit ihrem privaten Vermögen zu ersetzen.

Haftungsprävention ausserhalb einer Versicherungslösung

Vor diesem Hintergrund ist jede Organperson gut beraten, sich frühzeitig zu überlegen, wie das Risikopotential vernünftig eingegrenzt werden kann. Im Vordergrund stehen hier Möglichkeiten, über formell korrekte Kompetenzdelegation, regelmässige Kontrolle der delegierten Kompetenzen, Erarbeitung nachvollziehbarer Entscheidungsgrundlagen, Transparenz im Entscheidungsfindungsprozess, Entlastungsbeschluss der Generalversammlung sowie durch statutarisch/vertragliche Einschränkung der Haftung bei leichter Fahrlässigkeit2 eine persönliche Risikobegrenzung vorzunehmen. Selbst beste „interne“ Schutzmassnahmen garantieren aber nicht ausnahmslos, dass es nicht gleichwohl intern zur Erhebung von Vorwürfen und allenfalls zu einer weitergehenden juristischen Auseinandersetzung kommen kann. Zudem sollte auch nicht übersehen werden, dass diese Massnahmen bestenfalls (Befreiungs-)Wirkung im Innenverhältnis zeitigen (also bei folgenden Streitfallkonstellationen: Gesellschaft gegen Organ; Aktionär gegen Organ; Organ gegen Organ) nicht jedoch im Aussenverhältnis schützend wirken (Drittparteien oder Behörden ist es unbenommen, jederzeit auch direkt gegen Organpersonen vorzugehen, wenn die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind). Stehen Vorwürfe einmal im Raum, und mögen diese noch so unbegründet sein, gilt es, diese geduldig und mit höchster Sorgfalt anzugehen. Das kann emotional, vor allem aber finanziell sehr belastend sein.

Risikoschutz durch eine Organhaftpflichtversicherung

Der Abschluss einer Organhaftpflichtversicherung ist aus Sicht des Unternehmens und der Unternehmensführung ein anderer Weg, Risikoabsicherung vernünftig zu betreiben. Bekannte Fälle aus der Presse wie SIKA, Glarner Kantonalbank, Sonova, APG/SGA (Affichage Griechenland), Fluggesellschaft Hello, KPT Krankenkasse, Pensionskasse First Swiss Pension Fund etc. sind beredte Beispiele für Situationen, in welchen möglicherweise fehlbare Handlungen von einzelnen Entscheidungsträgern oder einem Entscheidungsgremium Schadensfolgen für das Unternehmen, Sozialversicherungsinstitutionen, Aktionäre, Destinatäre, Drittgläubiger nach sich ziehen bzw. nach sich gezogen haben. Die Betroffenen, medial oft auch bereits vorverurteilt, stehen schnell alleine da, regelmässig ohne jeden Zugang zu Informationen und Dokumentationen. Um ihre Position richtig darzustellen, sind sie auf professionelle und - in aller Regel – auch finanzielle Unterstützung über einen längeren Zeitraum angewiesen. Hier setzt der Versicherungsschutz einer Organhaftpflichtversicherung ein.

Gegenstand einer Organhaftpflichtversicherung3

Die Organhaftpflichtversicherung – ebenfalls bekannt unter dem Begriff D&O (Directors‘ & Officers‘ Liability) – schützt das Privatvermögen von Organpersonen. Werden Unternehmensorgane für behauptete oder tatsächlich begangene Fehler zur Rechenschaft gezogen, finden sie im Rahmen einer Organhaftpflichtversicherung finanziellen Schutz; einerseits durch die Übernahme von Verteidigungskosten bei der Abwehr unberechtigter oder übersetzter Schadenersatzansprüche, andererseits durch Entschädigungszahlungen aus der Police bei ausgewiesenem Schaden. Diese Ausgangslage scheint für das einzelne Organ komfortabel; sie ist es in aller Regel auch. Es kann aber auch sein, dass derselbe negative Sachverhalt mehreren Organpersonen gleichzeitig zur Last gelegt wird und deshalb jede dieser Organpersonen für sich alleine Versicherungsschutz unter der Police sucht. Das kann möglicherweise dann zum Problem werden, wenn die Versicherungssumme zu tief angesetzt ist4 und jede Organperson primär seine eigenen Interessen abgesichert haben möchte. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Versicherer enthalten – soweit ersichtlich - keine Regelung wie in solchen Fällen zu verfahren und wie die Versicherungssumme unter den einzelnen Organpersonen aufzuteilen ist. Ist nämlich der Organhaftpflichtschutz in Form einer Kollektivversicherung5 abgeschlossen worden, haben sämtliche natürlichen Personen, welche in der Police unter den versicherten Personenkreis6 fallen, grundsätzlich den gleichen Anspruch und das gleich Recht auf Zugang zu den definierten Versicherungsleistungen.

Organhaftung im Wandel der Zeit

Zweifellos hat sich die Wahrnehmung von Organverantwortung und Organhaftpflicht in den vergangenen Jahren deutlich geändert. Unternehmerische Fehlleistungen werden nicht mehr einfach stillgeschwiegen und sanktionslos ad acta gelegt sondern – vor allem auch medial – schonungslos aufgedeckt und angeprangert. Stolpersteine für die Unternehmensführung gibt es viele: Globalisierung der Märkte, internationale Verflechtung, Corporate Governance, Buchführungsvorschriften, Verwaltungsrichtlinien etc. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind schwieriger geworden, die Unternehmensführung ist Haftungsrisiken verstärkt ausgesetzt. Die Versicherungsindustrie verfolgt diese Entwicklung aufmerksam. Die Produkte, welche im Bereich der Organhaftpflichtversicherung heute auf dem Markt erhältlich sind, tragen der „Risikoausweitung“ über verschiedene attraktive Deckungserweiterungen Rechnung. So werden Organpersonen beispielsweise bei drohenden Reputationsrisiken, bei ausländischen Auslieferungsersuchen, bei Beschlagnahme von privaten Vermögenswerten, bei Steuerschulden und ausstehenden Sozialabgaben der juristischen Person7 , bei der Ausübung von Fremdmandaten8 , bei gegen Organpersonen gerichteten Untersuchungen9 sowie durch zahlreiche weitere Deckungsbausteine recht umfassend geschützt10. Freilich stellt die Organhaftpflichtversicherung keine „carte blanche“ für jegliches Geschäftsgebaren dar sondern es bleiben bewusst schädigendes Verhalten, absichtliche Fehlleistungen und auch kriminelle Handlungen wie bis anhin vom Versicherungsschutz ausgenommen11.

Zusammenfassung

Die Risiken aktienrechtlicher Verantwortlichkeit sind vielschichtiger geworden. Die Tonlage bei der Formulierung von Schuldzuweisungen hat sich spürbar verschärft12. Der Abschluss einer Organhaftpflichtversicherung wird immer mehr zur zwingenden Voraussetzung, damit Unternehmen Führungspositionen mit kompetenten Personen besetzen bzw. für solche (risikobehafteten) Aufgaben überhaupt motivieren können. Die ganz zentrale Funktion einer Organhaftpflichtversicherung ist die Rechtsschutzfunktion: Die betroffene Organperson geniesst Unterstützung und zwar einerseits bei der Abwehr ungerechtfertigter oder übersetzter Schadenersatzansprüche und andererseits bei Vorliegen eines Schadens; anstelle des Privatvermögens der Organperson kommen Versicherungsleistungen aus der Police zur Anwendung13. Eine Organhaftpflichtversicherung ist ein sinnvolles Instrument, persönliche Risikoabsicherung vernünftig und aus Sicht der juristischen Person kostengünstig zu betreiben14.


Literaturverweise
1: Im Bereich des GmbH Rechts verweist Art. 827 OR auf die Vorschriften des Aktienrechts
2: Vgl. Philippe Catalan, Schadloshaltung und Haftungsausschluss bei Leitungsorganen einer Aktiengesellschaft – Möglichkeiten und Grenzen nach Schweizer Recht, Zürich 2007, S. 19 ff.br
3: Analog dem Versicherungsschutz für Organpersonen gibt es auch Versicherungsschutz für Risiken aus der Tätigkeit für Vorsorgeeinrichtungen (als Stiftungsrat, Geschäftsführer, Verwaltungsangestellte[r]; bekannt unter dem Namen Pension Trustee Liability Insurance)
4: Als Mindestgarantiesumme gilt CHF 1 Mio.; unter diese Limite gehen die Versicherer heute kaum mehr
5: Bei einer Organhaftpflichtversicherung, welche in Form einer Kollektivversicherung ausgestaltet ist, gilt die juristische Person als Versicherungsnehmerin und Prämienzahlerin. Die juristische Person selber geniesst aber keinen unmittelbaren Versicherungsschutz; direkt versichert und anspruchsberechtigt aus der Police sind die natürlichen Personen, welche in der Police als versicherte Personen definiert sind. Im Unterschied zum Kollektivvertrag kann im Rahmen einer Einzelversicherung eine einzelne Person als Versicherungsnehmerin für ihre Verwaltungsratstätigkeit versichert werden. Der Versicherungsschutz/-summe gilt diesfalls nur für diese bestimmte Person
6: Der versicherte Personenkreis im Rahmen einer D&O - Kollektivversicherung ist weit gefasst: Natürliche Personen in ihrer Funktion als formelle, materielle, faktische Organe, ebenso leitende Angestellte, interne Revisoren, Controller, Compliance Officers, angestellte Rechtsanwälte, Mitglieder der internen Vorsorgekommission, Liquidatoren im Rahmen einer freiwilligen Liquidation
7: Diese Deckungserweiterung kommt nur bei Insolvenz und/oder Konkurs der juristischen Person zum Tragen
8: Wenn eine Organperson im Auftrag der Versicherungsnehmerin bei einer anderen Beteiligungsgesellschaft ein Mandat als Verwaltungsrat ausübt, geniesst sie über die Organhaftpflichtversicherung der Versicherungsnehmerin ebenfalls für diese Fremdmandatstätigkeit Versicherungsschutz
9: Jegliche Art von (Vor-)Untersuchungen durch Strafbehörden, FINMA, WEKO, andere (Aufsichts-)Behörden
10: Diese Deckungserweiterungen sind zum Teil sublimitiert, d.h. innerhalb der gesamten Garantiesumme steht nur ein Teil – die Sublimite – für den entsprechenden Deckungsbaustein zur Verfügung
11: Als weitere wesentliche Ausschlüsse zu erwähnen sind: Personen- oder Sachschäden, Vertragsstrafen/Bussgelder, Schäden aus der Erbringung beruflicher Dienstleistungen (Berufshaftpflicht)
12: Catalan, S. 40 f.
13: Bis zur Höhe der im Versicherungsvertrag definierten Garantiesumme wird damit das Privatvermögen der Organperson geschützt bzw. geschont
14: Siehe FN 5. Prämienschuldnerin bei der Organhaftpflichtversicherung ist die juristische Person. Als sehr grobe Indikation kann im KMU Bereich davon ausgegangen werden, dass für eine Garantiesumme von CHF 1 Mio. in etwa mit einer Versicherungsprämie zwischen CHF 1‘000.— bis CHF 1‘200.—zu rechnen ist.